Vom Snobismus zur Schnäppchenjagd

23/09/2009

Von Christian Schubert

PARIS, 3. September Im Laden stehen dumeinen Preisnachlass zu bitten ist eine Sache. Eine andere ist, im Internet anonym nach Schnäppchen zu suchen. In der Welt des Luxus ist das nicht anders. Die französische Internetverkaufsplattform vente-privee.com hat vor einem Jahr die Website VP Lounge aufgemacht und verkauft dort exklusive Marken wie Yves Saint-Laurent, Dunhill, Sergio Rossi oder ChristofIe.

„Wir wachsen zweistellig. Die Mentalitäten der Leute haben sich geändert; sie haben keine Bedenken, im Internet zu kaufen”, berichtet Geschäftsführer Jacques-Antoine Granjon.

Snobismus war gestern. „Beispielsweise ein T-Shirt von Fruit of the Loom mit einer Handtasche von Chanel kombinieren – da sagen sich die Leute, warum nicht”, berichtet der Chef des weltgrößten Veranstalters zeitlich begrenzter Verkaufsaktionen im Internet, der in diesem Jahr einen Umsatz von 750 Millionen Euro erwartet.

Preisnachlässe von 60 bis 70 Prozent gibt es bei seinen Waren, die meistens Restbestände sind. Der Verkauf etwa eines edlen Rings für 3,000 anstatt 10,000 Euro sei keine Ausnahme.

„Die Internetplattformen sind die großen Nutznießer der Krise”, sagt Karine Ohana, die zusammen mit ihrem Bruder in Paris eine kleine Investmentbank- Boutique zur Beratung von Luxusgüterherstellern führt. „Die Leute empfinden es nicht als Schande, im Internet zukaufen. Ja, es gilt sogar als clever.”

Da mögen die großen Produzenten noch so schöne Konsumtempel errichten, in denen ihre „Erlebniswelten” zum Kauf verführen sollen – in der Krise widerstehen die Men schen öfter un d kaufen woan ders oder garnicht.

Nach einem Jahr Wirtschaftskrise hat die Luxusgüterbranche viel von ihrem Glanz verloren. In Deutschland ist das der Öffentlichkeit mit dem Niedergang von Escada vor Augen geführt worden. Seit der Pleite von Lehman Brothers fallen nicht nur viele Investmentbanker aIs Kunden aus. Wohlhabende überlegen sich zweimal die Anschaffung teurer Produkte, deren Name oft mehr zählt, aIs die Ware hergibt. Die Altkunden begnügen sich mit dem, was sie haben, und die Neureichen verschieben Anschaffungen.

Besonders Männer, die in den vergangenen Jahren dem Uhrenmarkt zu einem Aufschwung verhaIfen, finden jetzt häufig, dass ein edler Zeitmesser eigentlich auch reicht. Manche Dame denkt bei den teuren Handtaschen anders, wie die recht stabilen Verkäufe der zeitlosen Lederwarenanbieter Louis Vuitton oder Hermès zeigen. Doch auch dort ist man von den Wachstumsraten der Vergangenheit weit entfernt. „Uhren und Schmuck sind von der Krise besonders stark betroffen, während sich die Lederwaren ganz gut halten”, sagt Claudia Lenz, Analystin beim Schweizer Bankhaus Vontobel.

Die jüngsten Exportzahlen Schweizer Uhren wiesen abermals nach unten. Zwischen Januar und Ende Juli sind die Ausfuhren gegenüber dem Vorjahr um mehr als ein Viertel gesunken. Uhren zwischen 200 unci 500 Franken hielten sich am besten, während das Preissegment über 3,000 Franken am stärksten litt.

In der Krise trennt sich unter den Anbietern die Spreu vom Weizen. „AIle haben zu kämpfen, am meisten aber jene, die sich auf modische Produkte konzentrieren. Was dagegen als zeitlos und kIassisch gilt, zieht sich besser aus der Affäre”, sagt Pierre Mallevays, der mi t seiner Londoner Gesellschaft Savigny Partners Luxusunternehmen berät. Als Klassiker gelten für die meisten Branchenbeobachter Hermès und Louis Vuitton, während die Meinungen bei Gucci geteilt sind. In Schwierigkeiten stecken nach MalIevays’ Auskunft jetzt vor allem italienische Anbieter mit finanzschwachen Familien im Hintergrund, die sich deutlich verschuldet haben. Versace, Prada und etwa der Brillen hersteller Safilo gehören in diese Kategorie.

Prada musste vor wenigen Tagen Gerüchte dementieren, dass das Unternehmen über den Verkauf einer Minderheitsbeteiligung verhandele, angeblich mit Richemont aus der Schweiz. Auch das Emirat Qatar soll Interesse gezeigt, als Finanzinvestor aber eine Abfuhr erhalten haben. Der Teufel trägt nicht Prada, sondem hält als ungeduldiger Gläubiger SchuldtiteI des Unternehmens: Bei einem Nettogewinn von knapp 100 Millionen Euro soil es mit 1,1 Milliarden Euro verschuldet sein. Immerhin verschoben die Banken offenbar die Tilgung von 450 Millionen Euro auf 2012. Von den französischen Branchengurus LVMH und Hermès sind die Italiener derzeit weit entfernt. Beide Unternehmen fuhren im ersten Halbjahr trotz Krise noch Gewinne ein ; LVMH ist an der Pariser Börse mehr als 33 Milliarden Euro wert, der viel kleinere Konzern Hermès fast 11 Milliarden Euro, wobei Letzterer als überbewertet gilt. Sie profitieren in immer mehr wachsenden Metropolen von einem Netz eigener Geschäfte. Das macht sie unabhängig von den Kaufhäusern, die ihre eigene Preisund Lagerpolitik ohne Rücksicht auf die Hersteller verfolgen.

Die Italiener dagegen müssen nach neuen Wegen suchen. Der Hersteller edler Anzüge, Brioni, versucht es jetzt mit T-Shirts. Die Ausweitung einer starken Marke auf neue Produkte ist län gst kein Geheimnis mehr, muss aber immer wieder gelingen. Man kann es zu weit treiben, wie etwa Pierre Cardin, der aufgrund seiner Zerfledderung in alle Himmels – und Produktrichtungen nicht mehr als Luxusanbieter gilt. Oder man scheitert wie Christian Lacroix, dessen Parfums nicht beim Publikum ankamen. Das kleine französische Modehaus, das zum Verkauf steht, ist eine Haute-Couture-Werkstatt geblieben, der anders als der Konkurrenz das Massengeschäft fehlt.

Kommt es in der Luxusgüterbranche nach etlichen Wachstumsjahren bald zu einer Bereinigung unter den Anbietern? Viele Private-Equity-Häuser sind verschwunden, weil der Zugang zurn Fremdkapital versperrt ist. Geblieben sind einige wenige industrielle Käufer wie LVMH oder etwa die Holding Labelux der Familie Benckiser, die, ausgehend vom Besitz des Parfum – und Kosmetikhersteller Coty, in neue Segmente strebt. So übernahm Labelux den Schweizer Schuhhersteller Bally und beteiligte sich mehrheitlich am amerikanischen Designer Derek Lam. Das war noch vor der Krise. „Die Transaktionen sind in der Zahl schätzungsweise um rund ein Drittel gesunken, im Wert um noch mehr”, sagt der Pariser Investment banker Ariel Ohana. Damit fallen auch die Preise.

Wann geht es wieder aufwärts? Berater Mallevays ist vorsichtig: „Der chinesische Markt wächst stark. Doch Europa und Amerika bleiben schwach. Während zwei bis drei Jahren geht es vielleicht leicht auf und ab, doch einen starken Aufschwung erwarte ich in diesem Zeitraum nicht.”

Pleiten strah len auf alle aus
Trotz Krise will Manfred Mroz von Krisenstimmung nichts wissen. „Wir steigern unsere Studentenzahlen seit geraumer Zeit um 10 bis 12 Prozent im Jahr. Und die Abgänger bekommen immer noch gute Jobs”, sagt der Schwabe, der einer von zwei Geschäftsführern der Fachakademie für Textil & Schuhe in Nagold (LDT) ist. „Auch von un seren Trainees hören wir, dass die Unternehmen die Ausbildung nicht einstellen.

Wir haben kein einziges Partnerunternehmen verloren. “Bald erreieht die über Studiengebühren finanzierte Privatakademie die Zahl von 600 Studenten und denkt über eine Deckelung nach, um nicht ein Massenbetrieb zu werden. Zum Markt der gehobenen Markenanbieter sagt Mroz: „Es geht etwas langsamer im oberen Genre, aber langfristig ist ein Markt da.”

Dennoch kann nicht abgestritten werden, dass Krisenphänomene wie die Insolvenz des deutschen Modehauses Escada ihre Spuren hinterlassen. Dort stehen 2,300 Beschäftigte, davon 600 in Deutschland, vor einem ungewissen Schicksal. Abgegrenzte Zahlen für die Luxusgüterbranche zu bekommen ist schwierig, weil die weitgefächerte Branche ungenau definiert ist.

Die Lage des Einzelhandels strahlt indes auf alle ab. Wenn große Häuser wie Karstadt schließen, dann ist dagegen niemand immun.